Landtagswahl Baden-Württemberg 2021


Die Grünen sind in Baden-Württemberg erneut stärkste Kraft geworden und haben erneut an Wählern zugelegt. Hochburgen sind nach wie vor die Großstädte und Universitätsstädte sowie die Tourismusregionen im Süden (Schwarzwald, Breisgau, Bodenseeregion). Die multivariate Korrelationsanalyse zeigt, dass die Ergebnisse am stärksten mit den Ergebnissen der CDU und der AfD korrelieren. Allerdings ist dies eine negative Korrelation, d.h. je höher das Grünen-Ergebnis in einer Kommune, desto niedriger die von CDU und AfD. Diese Parteien stellen konträre Lager dar, sodass in einer Region entweder das Mitte-Rechts-Lager stark ist oder das Grüne Lager. Diese Parteien konkurrieren kaum um dieselbe Wählerschaft.
Es zeigt sich darüber hinaus, dass die Grünen in ihren Hochburgen überdurchschnittlich viele Wähler hinzugewonnen haben, während sie in den meisten Tiefburg-Regionen (die ländlichen katholischen Regionen im Süden und Osten) Wähler verloren haben. Dies kann als Selbstverstärkungseffekt betrachtet werden, da in bestimmten Milieus die diskursiven Grundlagen für eine relative leichte Neuwählerrequirierung durch die bisherigen Wähler gelegt sind.

Erneut ist die CDU in ihrem ehemaligen "Stammland" nicht stärkste Kraft geworden. Sie hat ihre stärksten Ergebnisse in den ländlichen katholischen Regionen (v.a. im Süden und an der Landesgrenze zu Bayern). Bemerkenswert ist, dass sie ihre höchsten Verluste nicht in den städtischen Zentren hat, sondern in ihren Hochburgen - v.a in den Tourismusregionen im Süden. Vermutlich hat sie in den städtischen Regionen bereits den Sockel ihrer derzeitigen Stammwählerschaft erreicht, während in den Hochburgen noch immer viele aus Gewohnheit bzw. regionaler Tradition und nicht aus tatsächlicher aktueller Überzeugung CDU wählen.

Die Hochburgen der SPD befinden sich traditionell in der protestantisch geprägten Nordhälfte des Landes. Erneut hat die SPD flächendeckend Wähler verloren. Die Höhe der Verluste ist allerdings diffus verteilt und die Schwankungsbreite sehr gering. Die Verluste sind daher vermutlich auf regionsspezifische Phänomene zurückzuführen.

Die Hochburgen der FDP liegen im zentralen und südlichen Baden-Württemberg. Die Hochburgen liegen vor allem in jenen Teilen des ländlichen Raums, in denen sowohl CDU als auch die Grünen ihre Tiefburgen haben. Es scheint also ein regional differenziertes Konkurrenzverhältnis zu CDU und Grünen zu bestehen. Auch bei der FDP sind Selbstverstärkungseffekte zu beobachten. Die deutlichsten Gewinne hat sie in ihren Hochburgen, während fast sämtliche Verluste in ihren Tiefburgen zu verzeichnen sind.

Die Ergebnisse sowie die Verluste der AfD korrelieren deutlich mit dem Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie. Besonders auffällig ist, dass in Gemeinden und Städten, die etwa 20 km bis 70 km vom Ballungsraum Stuttgart entfernt liegen, die Ergebnisse besonders hoch sind. Dieser "Stuttgarter Kranz" kann als ein Raum definiert werden, in dem die Menschen selbst in relativ ländlichen Sozialstrukturen leben, aber wirtschaftlich und infrastrukturell soweit mit dem urbanen Raum verflochten sind, dass sie regelmäßig oder gelegentlich ins Zentrum pendeln und somit mit den dortigen sozialen Verhältnissen vertraut sind und diese ablehnen. Die hohen AfD-Ergebnisse auf dem Stuttgarter Kranz stellen eine Ablehnungsreaktion auf das großstädtische Milieu dar. Die Bestätigung für diese These ist darin zu sehen, dass im noch ländlicheren/ periphereren Raum an den Landesgrenzen die AfD-Ergebnisse nicht noch höher sind, weil diese Randregionen mit den urbanen Strukturen nicht mehr in Kontakt stehen und es daher keinen ausreichenden Anlass gibt AfD zu wählen.
Die Ablehnung des städtischen/ urbanen Raumes und der dortigen Lebensweise ist in der Vergangenheit immer wieder von konservativen und rechten Parteien kultiviert worden. Neu ist bei der AfD jedoch, dass diese nicht im absolut ländlichen Raum ihre größten Erfolge hat, sondern in jenen Regionen, die mit dem urbanen Raum vernetzt sind. Es lässt sich daraus weiterhin schlussfolgern, dass nicht die eigene ländliche Vorstellung von Gesellschaft wahlmotivierend ist (solche Wähler wählen eher CDU/CSU), sondern die Ablehnung einer anderen Vorstellung von Gesellschaft.

Auch bei den Gewinnen und Verlusten zeigt sich dieser Gegensatz: Während die Ergebnisse im Ballungsraum Stuttgart/ Mannheim/ Karlsruhe regelmäßig um mehr als 6 Prozentpunkte gesunken sind, waren die Verluste in den dünn besiedelten Räumen deutlich geringer. Vermutlich ist dies auf unterschiedliche Lebensumstände, Sozialstrukturen und Diskurse im städtischen und im ländlichen Raum zurückzuführen, sodass sich Menschen in ländlichen Räumen tendenziell häufiger untereinander über politische Themen austauschen, während in städtischen Räumen medial verbreitete Meinungen deutlich mehr Einfluss auf persönliche Meinungsbildungsprozesse haben. Es ist anzunehmen, dass sich Menschen im städtischen Raum eher abwenden vom negativen Image der AfD, während Menschen im ländlichen Raum diese Diskurse seltener teilen. Zwischen den Wahlen bestand das größte Konkurrenzverhältnis zur CDU: Zwar haben insgesamt beide Parteien verloren, jedoch: Je stärker die Verluste für die AfD, desto weniger hat die CDU verloren. Vor allem in den wenigen Gemeinden, in denen die AfD hinzugewonnen hat, hat die CDU besonders deutlich verloren. Es ist anzunehmen, dass sich diese beiden Parteien zumindest teilweise dieselbe Wählerschaft teilen und um diese konkurrieren.
Es ergibt sich schließlich folgendes Bild: Die Ergebnisse der AfD waren und sind im ländlichen Raum höher und die Verluste sind im ländlichen Raum geringer. Das bedeutet, dass sich der Unterschied zwischen Stadt und Land noch weiter vergrößert. Während sich also die wirtschaftlichen und infrastrukturellen Unterschiede verringert haben, vergrößert sich der Bruch zwischen den Mentalitäten.

Die Linke ist noch deutlich stärker als die Grünen eine Partei mit großstädtischer Wählerschaft. Nur in einem schmalen Bereich um die Zentren des Landes kommt sie auf über 3 Prozent der Stimmen. Auch hier verstärkt sich der Trend: in den fünf größten Städten des Landes legt sie am deutlichsten zu, während fast sämtliche Verlust-Kommunen im ländlichen Raum liegen.

Die sonstigen Parteien haben ihre besten Ergebnisse in den peripheren, katholisch geprägten Regionen entlang der Landesgrenzen (die zugleich CDU-Hochburgen sind) sowie im Ballungsraum Freiburg und kommen dort zusammen zumeist auf über 10 Prozentpunkte. In denselben Regionen haben diese Parteien die größten Zugewinne und haben ihr Ergebnis zusammengerechnet zumeist verdoppelt.

Die Wahlbeteiligung ist in den wohlhabenden Ballungsräumen und den Tourismusregionen tendenziell höher.