Landtagswahl Sachsen 2024
Statistische Analyse




Ergebnisse




Gewinne & Verluste




Verhältnis der Parteien zueinander
Die politische Entwicklung seit Neugründung Sachsens
In den Wahlergebnissen und den Umfragen der vergangenen 34 Jahre ist eine kontinuierlich sinkende Zustimmung zur CDU zu erkennen, die sich in dem Zeitraum halbiert hat; ebenso hat die Linke 80% ihrer einstigen Wähler verloren, während die AfD zwischen 2014 und 2015 von einer Nischenpartei zur Massenpartei wurde und seitdem kontinuierlich weiter wächst und seit 2019 etwa gleichauf mit der CDU liegt. Alle anderen Parteien haben seit dem Aufstieg der AfD massiv an Zuspruch verloren, sodass Sachsen heute ein Staat mit zwei Volksparteien (CDU und AfD) ist und einer Reihe kleiner Parteien, die hingegen auf Bundesebene relevant sind. Dieser Zweikampf hat die anderen Parteien marginalisiert. Seit Jahresbeginn 2024 hat der Aufstieg des BSW diese kleineren Parteien weiter Richtung 5%-Hürde gedrückt, während er den beiden großen Parteien nicht geschadet hat. Bedeutsam ist, dass die neue Konkurrenzsituation von selbstbetont oppositionellen "Outlaw-Parteien" die Wahlbeteiligung von 50% auf 75% gesteigert hat - also bei einem wesentlichen Teil der Bevölkerung neues Interesse an der Politik geweckt hat. Durch das neue Parteien- und Meinungsangebot von AfD und BSW konnte die bislang bestehende große Repräsentationslücke weitgehend schließen (lässt man Politikdesinteressierte und entschiedene Nichtwähler unbetrachtet).
Die Zusammensetzung der Wählerschaften
CDU
Die Wähler der CDU sind die mit Abstand älteste aller Wählerschaften, tendenziell eher weiblich als männlich, waren bei der vorherigen Wahl sehr häufig nicht wählen gegangen, sind also durch die gegenwärtige politische Lage zur CDU gelockt worden; besonders viele der ehemaligen CDU-Wähler haben sich nun für AfD oder BSW entschieden; außerdem hat keine Partei so viele Wähler durch Tod verloren oder als Jungwähler gewonnen, unter Männern hat die CDU deutlich mehr hinzugewonnen als unter Frauen. CDU-Wähler sind weder besonders gebildet, noch besonders ungebildet, allerdings tun Bessergebildete zunehmend zur CDU tendieren, während weniger Gebildete sich eher abwenden. CDU-Wähler sind weit überdurchschnittlich häufig Rentner und seltener arbeitslos; fast die Hälfte der Beamten wählt CDU - mit steigender Tendenz; während Selbstständige sich eher abwenden. CDU-Wähler sehen ihre eigene wirtschaftliche Lage in der Regel als gut an. Christen wählen deutlich häufiger CDU als Konfessionslose; besonders wählt die Hälfte der Katholiken CDU (wobei nur 4% der Sachsen katholisch sind). Der gesamte Wählerzuwachs der CDU geht auf diese Katholiken zurück, da sie unter Evangelischen und Konfessionslosen verloren hat. Schließlich leben CDU-Wähler schon sehr lange im Land und tendenziell eher im ländlichen Raum - je größer die Stadt, desto geringer das CDU-Ergebnis.
Wahlgeografisch betrachtet sind die Ergebnisse der CDU relativ nivelliert über das Land verteilt; besonders hohe Ergebnisse wurden im industriellen Südwesten, im Wahlkreis des Ministerpräsidenten und in den fünf katholischen Gemeinden 'Am Klosterwasser'. Besonders niedrig waren die Ergebnisse in den Innenstädten der Metropolen Dresden und Leipzig, sowie im Wahlkreis Grimma des siegreichen Direktkandidaten der Freien Wähler. Abgesehen davon ist das Stadt-Land-Gefälle relativ schwach ausgeprägt, was dafür spricht, dass die CDU eine relativ vielfältige Wählerschaft anspricht.
Die auffällig niedrigen Ergebnisse um Grimma, wo die Freien Wähler ein Direktmandat errungen haben.
Die CDU hat, wie für eine große Partei gewöhnlich, in den meisten Kommunen mehr Direktstimmen als Parteistimmen erhalten; nur in den höchsten Hochburgen von Freien Wählern, BSW, AfD und FDP hat sie weniger Direktstimmen erhalten.
AfD
Mittlerweile wählt ein Drittel der Sachsen AfD - mit kontinuierlich steigender Tendenz. Dabei hat der Aufstieg der AfD die gesamte Gesellschaft politisiert, was die enorm gestiegene Wahlbeteiligung zeigt, von der die AfD der größte Profiteur ist. Nachdem bei früheren Wahlen die AfD vor allem Menschen im arbeitsfähigen Alter (Altersgruppe 35 bis 59 Jahre) angesprochen hat, ist bei dieser Wahl der Zuspruch über alle Altersgruppen hinweg etwa gleich verteilt, wobei in allen Altersgruppen mehr Männer als Frauen AfD wählen - besonders bei den jungen Wählern. Auch die U16-Wahl, die jeweils eine Woche vor der richtigen Wahl an einzelnen Schulen durchgeführt wird, bestätigt dieses Bild. Unter Schülern ist der Zuspruch mit 36% noch einmal höher als in allen Altersgruppen im wahlfähigen Alter. Auch der regionale Trend bestätigt sich unter Schülern: im Osten des Freistaats hat die AfD 46% Zuspruch, während die Werte im Westen deutlich niedriger sind. Mehr als jeder zehnte aktuelle AfD-Wähler war bei der letzten Wahl noch Nichtwähler, jeder Zwanzigste hat beim letzten Mal CDU gewählt; nur einer von Dreißig vorherigen AfD-Wählern ist nun zum BSW gewechselt. Die These, dass das BSW eine attraktive Alternative für AfD-Wähler ist, bestätigt sich daher nicht. Sicher gibt es deutliche inhaltliche Überschneidungen, aber die die politische Kultur zwischen BSW und AfD ist so unterschiedlich, dass AfD-Wähler der Politik des BSW zwar inhaltlich zustimmen, sie aber aus kulturellen und psychologischen Gründen so sehr durch die AfD sozialisiert sind, dass sie mittlerweile als Stammwähler angesehen werden können. Besonders junge Wähler im Tiktok-Alter haben sich neuerdings für die AfD entschieden, und noch deutlicher junge Männer. Bei männlichen Wählern zwischen 18 und 25 Jahren hat sie sogar um 17% zugelegt, während es unter den gleichaltrigen Frauen nur 4% waren. AfD-Wähler haben von allen Wählerschaften das niedrigste Bildungsniveau - und in diesem Bereich ist die Zustimmung zur AfD auch am deutlichsten gestiegen. Es ist die einzige Wählerschaft, bei der Menschen mit Hauptschulabschluss die größte Gruppe stellen - in dieser Gruppe hat die AfD auch die höchsten Zugewinne. Mit Blick auf die Zugewinne nach Altersgruppen kann dies nicht darauf zurückgeführt werden, dass die Hauptschule in älteren Generationen tatsächlich mal die allgemeine Schule war, sondern es müssen zum sehr großen Anteil auch junge Menschen mit Hauptschulabschluss sein, die neu zur AfD tendieren. Die AfD hat unter Rentnern etwas weniger Zuspruch als unter Menschen im arbeitsfähigen Alter, wenngleich sich die Ergebnisse angleichen. Die Hälfte der Arbeiter wählt AfD und jeder Dritte Selbstständige, aber nur ein Fünftel der Beamten, was die politische Ansprache und die grundsätzliche Staatsferne der AfD widerspiegelt. Besonders für Selbstständige scheint die AfD-Politik der letzten Jahre attraktiv gewesen zu sein, bei dieser Berufsgruppe sind die deutlichsten Zugewinne festzustellen. Die Hälfte derer, die ihre persönliche wirtschaftliche Lage als schlecht einschätzen, hat AfD gewählt; aber nur ein Viertel derer, die ihre persönliche wirtschaftliche Lage als gut einschätzen. AfD-Wähler sind überdurchschnittlich häufig konfessionslos, was vermutlich die Kritik der Partei an der Politisierung der Kirchen widerspiegelt. Sie haben eine besonders lange Wohndauer im Land, d.h. sie sind seltener zugezogen als andere Wählerschaften und damit ihrer Heimat traditionell verbunden. Bezüglich der Ortsgröße bestätigt sich, dass AfD-Wähler i.d.R. im ländlichen Raum leben: Je größer die Gemeinde/ Stadt, desto weniger AfD-Wähler. Auch steigen die AfD-Ergebnisse in kleinen Orten noch stärker als in größeren.
Bei der AfD zeigt sich zudem ein deutliches Ost-West-Gefälle. Vom westlichen Sachsen (Ergebnisse um 30-35%) zum östlichen Sachsen (Ergebnisse um 45-50%) nehmen die Ergebnisse kontinuierlich zu.
BSW
Das BSW ist erst neun Monate vor der Landtagswahl gegründet worden, wenngleich die wesentlichen Protagonisten der Partei den Wählern bereits seit langem bekannt sind. Bereits seit wenigen Monate nach Gründung liegen die Umfragewerte konstant zwischen 11% und 15%; die kalkulierten Werte der Umfrage-Institute sind damit wohl etwas zu hoch angesetzt. Da die Wählerschaft und ihr Sozialverhalten noch relativ unbekannt waren, werden die Gewichtungen der Rohdaten aus den Befragungen sich in den kommenden Jahren wohl den tatsächlichen Wahlergebnissen anpassen, wie es auch bei den Umfrage-Ergebnissen der AfD in den vergangen Jahren geschehen ist.
Gemäß der Nachwahlbefragung neigen ältere Wähler dem BSW mehr zu als jüngere, dementsprechend überdurchschnittlich viele Rentner, Frauen mehr als Männer. BSW-Wähler haben demnach vormals besonders häufig die Linke gewählt, aber auch CDU und sonstige Parteien, in geringerem Umfang auch AfD. Sie haben ein mittleres Bildungsniveau und sind häufiger als Arbeiter oder Angestellte in der freien Wirtschaft tätig und sehen ihre persönliche wirtschaftliche Lage eher schlecht als gut an. Sie sind besonders häufig konfessionslos.
Die geografische Analyse zeigt, dass die Hochburgen des BSW im Westen des Landes liegen, die "Tiefburgen" in den saturierten Innenstädten von Dresden und Leipzig, was seiner anti-woken Politik entspricht. Die Ergebnisse in den anderen größeren Städten unterscheiden sich nicht vom ländlichen Raum. Bemerkenswert ist, dass mitten durch Sachsen eine Grenze zwischen hohen BSW-Ergebnissen und hohen AfD-Ergebnissen verläuft. Das kann bedeuten, dass im westlichen Sachsen eher ein sozialer Konservatismus Zustimmung findet, und im östlichen Sachsen eher ein Nationalkonservatismus.
Auch beim Zusammenhang zwischen Gewinnen der AfD und Ergebnis des BSW zeigt die statistische Korrelationsanalyse keinen Zusammenhang, die geografische Verteilung ist hingegen sehr deutlich: Fast alle Hochburgen des BSW liegen in Gebieten, in denen auch die AfD überdurchschnittliche Zugewinne verzeichnen konnte.
FDP
Bei der FDP schwanken die Wahlergebnisse und Umfragen um die 5%-Hürde, wenngleich die Partei die meiste Zeit seit Neugründung Sachsens im Landtag vertreten war. Bei dieser Landtagswahl hat sich bestätigt, dass die Ergebnisse am höchsten in der jüngsten Wählergruppe sind. Die Verluste gegenüber der vorangegangenen Wahl sind über die Altersgruppen ähnlich verteilt. Die Wählerschaft ist tendenziell höher gebildet und überdurchschnittlich häufig selbstständig berufstätig. Bei vielen sozialen Status wie berufliche Tätigkeit, wirtschaftliche Lage oder Konfession ist die Wählerschaft sehr ausgeglichen über die Kategorien verteilt, d.h. die Partei spricht eine breite Bevölkerung an.
Wahlgeografisch betrachtet ist festzustellen, dass die FDP in metropolnahen Kommunen höhere Ergebnisse erringt als in peripheren Räumen. Dabei zeigen sich zwei Anomalien im Erzgebirge sowie im Zittauer Gebirge mit außergewöhnlich hohen Ergebnissen. Im Vergleich zur Wahl 2019 hat die FDP in allen Kommunen Verluste erlitten - besonders in ihren Hochburgen im Metropolraum Dresden. Geografisch korrelieren die Ergebnisse vor allem mit denen der drei "kulturell linken" Parteien: alle vier Parteien habe in den Metropolen ihre Hochburgen, wenngleich die FDP auch in deren Einzugsbereich noch überdurchschnittliche Ergebnisse hat. Ein Wähleraustausch mit diesen drei Parteien scheint damit aber nicht gegeben zu sein, da wirtschafts- oder kulturpolitische Überschneidungen kaum gegeben sind; auch die statistische Häufigkeitsverteilung zeigt keine eindeutige Richtung. Die FDP ist damit die einzige der sieben großen Parteien, die in keiner direkten Konkurrenz zu einer anderen Partei um eine bestimmte Wählerschaft steht.
Bei der FDP ist das interessante Phänomen festzustellen, dass die statistische Analyse keinen Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl bzw. Bevölkerungsdichte und FDP-Ergebnis zeigt, die geografische Analyse aber zeigt deutlich, dass die Hochburgen der FDP nahe der großen Städte liegen. Der Zusammenhang scheint daher weniger durch die tatsächlichen Umstände in der jeweiligen Gemeinde/ Stadt begründet zu sein, sondern durch den sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Einfluss der nahegelegenen Städte.




Fazit
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Bei der Landtagswahl in Sachsen bestand im Wesentlichen ein Zweikampf zwischen CDU und AfD. Die anderen Parteien wurden zwischen diesen zerquetscht, wie auch bei den anderen Landtagswahlen in den östlichen Ländern.
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Das vordringliche geostrukturelle Gefälle in Sachsen besteht zwischen dem ländlichen Raum und den beiden Metropolregionen Dresden und Leipzig. Am deutlichsten ist dies bei AfD, Grünen und Linken der Fall. Grüne und Linke haben ihre mit Abstand höchsten Ergebnisse in den Innenstädten von Dresden und Leipzig, während die AfD dort ihre mit Abstand niedrigsten Ergebnisse hat.
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In fast allen Gemeinden/ Städten neigen 80 bis 90 Prozent der Sachsen einer Art des Konservatismus zu: Im industriell geprägten Westen eher einem sozialen Konservatismus des BSW, im landwirtschaftlich geprägten Osten deutlich einem Nationalkonservatismus der AfD und über das Land verbreitet einem Strukturkonservatismus der CDU.
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Das BSW hat den (latent) konservativen Teil der Wählerschaften von Linke und SPD übernommen und beide Parteien damit weiter marginalisiert.
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BSW und AfD bedingen einander: Entgegen der allgemeinen Erwartungen hat das BSW nicht die AfD kleiner gemacht, sondern die drei kulturell linken Parteien. BSW und AfD haben besonders im Westen von Sachsen beide vom Niedergang der anderen Parteien profitiert.
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Dass der Aufstieg des wirtschaftspolitisch sozialen, kulturpolitisch aber konservativen BSW vor allem zum Nachteil der drei "linken" verlief zeigt, dass für Wähler die kulturpolitische Frage mittlerweile vordringlicher ist als die wirtschaftspolitische.
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Als deutliche wahlgeografische Anomalie fallen die fünf Gemeinden "Am Klosterwasser" auf (zwischen Hoyerswerda und Bautzen gelegen). Diese sind die einzigen Gemeinden in Sachsen mit mehrheitlich konfessionsgebundener Bevölkerung und die einzigen katholisch geprägten Gemeinden und sind zudem stark durch lebendige sorbische Kultur geprägt. Die in Teilen religiös-konservative CDU hat hier außergewöhnlich hohe Ergebnisse, während die in Teilen national-konservative AfD hier auffällig niedrige Ergebnisse hat. Dieses Wählerverhalten hat sich auch bei vergangenen Wahlen bereits gezeigt und ist damit strukturell bedingt.