Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021
Strategie zum Wahlsieg: Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 hat die CDU unerwartet gut abgeschnitten. Während sie bei den Meinungsumfragen zwei Wochen vor der Wahl bei höchstens 30 Prozent lag, lag das Wahlergebnis bei 37 Prozent. Dies hängt maßgeblich mit einer Umfrage zusammen, die die AfD vor der CDU auf Platz 1 liegend sah. In der Folge wurde von Politikern und Medien immer wieder über dieses Szenario spekuliert. Aus Angst davor, die AfD könnte stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt werden, haben sich die Wähler verschiedener Parteien hinter der CDU versammelt und ihr so einen für viele unerwarteten Stimmenzuwachs beschert. Von Journalisten wurde dahinter Kalkül und Wahlkampftaktik der CDU vermutet. Die AfD selbst scheint diese Strategie nicht begriffen zu haben, da einige ihrer Politiker selbst das Narrativ wiederholt haben, die AfD könne stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt werden.


Analyse: In der Wählerwanderung zeigt sich deutlich, dass die CDU vor allem auch von der AfD selbst Stimmen hinzugewonnen hat. In der Korrelationsanalyse ist ersichtlich: Je höher in einer Gemeinde/ Stadt die Gewinne der CDU sind, desto höher sind die Verluste für die AfD. Regional betrachtet zeigt sich, dass die CDU vor allem in der Südhälfte des Landes hinzugewonnen hat, wo die AfD besonders viele Stimmen verloren hat. Der Bruch verläuft genau entlang der Benrather Linie, die die (ehemalige) Sprachgrenze zwischen den mitteldeutschen Dialekten Obersächsisch bzw. Thüringisch und den niederdeutschen Dialekten Mittelmärkisch bzw. Ostfälisch bezeichnet. Es ist anzunehmen, dass entlang dieser lokalisierbaren Sprachgrenze auch eine Bruch zwischen zwei unterschiedlichen Mentalitäten besteht, die topografisch kaum definiert werden können. Selbiges Phänomen zeigt sich auch im östlichen Verlauf der Benrather Linie in Brandenburg, wo ebenfalls ein deutlicher Bruch in den Ergebnissen zwischen dem Süden und dem Rest des Landes besteht. Es kann postuliert werden, dass die niederdeutsche Mentalität tendenziell mehr nach Ausgeglichenheit auch in der politischen Rhetorik strebt.
Dieser regionale Bruch in der Höhe der Wahlergebnisse war bislang nur bei den Ergebnissen der AfD derart deutlich vorhanden. Es ist daraus zu schließen, dass die AfD die Umstände für ihren Vorteil im Süden des Landes nicht aufrecht erhalten konnte und die CDU diese Umstände im Süden des Landes erkannt hat und für sich zu nutzen wusste. Sowohl der Wahlsieg der CDU im Allgemeinen als auch die Eroberung der AfD-Hochburgen im Süden scheinen auf umsichtige Strategien der CDU selbst zurückzuführen zu sein.


Bei der vorherigen Landtagswahl 2016 hatten CDU und AfD sich räumlich ergänzt. Die CDU hatte den Norden als Hochburg und die AfD den Süden; die "Grenze" verlief auf der o.g. beschriebenen Benrather Linie. Beide Parteien haben nach wie vor strukturelle Probleme großstädtische Milieus anzusprechen.

Warum die AfD im Süden des Landes besonders stark ist, kann unter anderem nebenstehende Karte erklären: Der Süden war bereits zuvor Hochburg der NPD. Da diese Partei prozentual marginalisiert ist, ist anzunehmen, dass ein Großteil der ehemaligen Wähler nun AfD-Wählen. Bedeutsamer für die Erklärung des Wahlerfolgs der AfD im Süden des Landes könnte allerdings sein, dass die Diskurse anders geprägt sind, sodass das Auftreten der AfD hier mehr Anklang bzw. weniger Abstoßung fand und findet. Die strukturell bessere Verankerung der NPD in dieser Region kann dazu beigetragen haben oder aber ist selbst Ausdruck einer bereits vorhandenen Mentalität. Neben dem Nord-Süd-Gegensatz zeigt sich, dass beide Parteien entlang der Grenze zu Niedersachsen schlechtere Ergebnisse haben. Es ist anzunehmen, dass die Pendlerverflechtungen nach Niedersachsen in der Grenzregion größer sind, was eine wirtschaftliche und soziale Anpassung an die dortigen Verhältnisse bewirkt hat und damit weniger Anlass bietet ein etwaiges Deprivationsgefühl in der Bevölkerung zu adressieren.

Die SPD hat tendenziell im Westen entlang der Grenze zu Niedersachsen bessere Ergebnisse. Bei der vergangenen Wahl hat sie in fast allen Wahlkreisen Verluste hinnehmen müssen; die Verteilung der Verluste ist allerdings diffus.

Die FDP hat in Großstadt-nahen Wahlkreisen tendenziell bessere Ergebnisse. Sie hat in sämtlichen Wahlkreisen hinzugewonnen; die regionale Verteilung der Gewinne ist allerdings diffus und vermutlich durch regionsspezifische Ereignisse zu erklären.

Die Grünen sind diejenige Partei, die das größte Stimmenübergewicht in den Großstädten hat. Dieser Gegensatz hat sich bei der vergangenen Wahl noch einmal verstärkt: Während die Partei in der Hälfte des Landes Wähler verloren hatte, gab es die deutlichsten Zugewinne in den acht Wahlkreisen von Magdeburg und Halle/ Saale.

Die Linke hat ihre stärksten Ergebnisse in den beiden Großstädten des Landes. Sie hat allerdings deutliche Verluste hinnehmen müssen und liegt nun in vielen Wahlkreisen bereits unter 10 Prozent.